Das Bundesteilhabegesetz, kurz BTHG, bringt zum nächsten Jahr gravierende Änderungen für Menschen mit Behinderung. Damit sie sich frühzeitig darauf einstellen und jetzt schon handeln können, hatte die Behindertenhilfe Wetteraukreis (bhw) ihre Klienten und Interessierte zu zwei BTHG-Infoabenden eingeladen. Fachleute der bhw und der Fachdienstleiter Soziale Hilfen des Wetteraukreises, Mark Kannieß, beantworteten die Fragen aus dem Plenum.

Mehr Selbstbestimmung

Um die UN-Menschenrechtskonvention umzusetzen, wurde in Deutschland das BTHG verabschiedet. „Ziel des Gesetzes ist, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu stärken. Sie sollen besser ein Teil der Gesellschaft sein können und zielgerichtet die Unterstützung bekommen, die sie dafür brauchen – und zwar personenzentriert und am Bedarf des Einzelnen orientiert“, erklärte die Geschäftsführerin der bhw, Eva Reichert, bei den BTHG-Infoabenden ind Friedberg / Ockstadt und in Nidda / Bad Salzhausen. Über 100 Interessierte waren der Einladung der bhw gefolgt, um sich über die gesetzlichen Änderungen zu informieren und ihre Fragen zu stellen. Denn mit der nächsten Stufe des BTHG, die zum 1. Januar 2020 in Kraft tritt, geht es vor allem ums Geld, und viele haben Angst, dass sie dann weniger zur Verfügung haben. Diese Bedenken konnten die Fachleute mit Fakten zum Gesetz zu einem großen Teil ausräumen. „Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen wird aus dem „Fürsorgesystem“ herausgenommen und zu einem modernen Teilhaberecht entwickelt“, so Reichert. Kamen bisher alle Leistungen – egal ob existenzsichernde wie Wohnen und Verpflegung oder fachliche für die Unterstützung und Begleitung – aus einem Topf, werden die Fachleistungen zukünftig von den existenzsichernden getrennt.

Neue Zuständigkeiten

„Für die Fachleistungen ist die Eingliederungshilfe zuständig, für die existenzsichernden die Sozialhilfe. Das ist neu und das betrifft vor allem die Menschen, die in stationären oder teilstationären Wohneinrichtungen leben“, erklärte Karina Kuhl, Justiziarin und Bereichsleitung Wohnen und Freizeit der bhw. Die Kosten für Fachleistungen wie die Assistenz an der Arbeit, in der Freizeit oder zu Hause in der Wohneinrichtung bezahlt die Eingliederungshilfe, hier im Wetteraukreis ist dafür der Landeswohlfahrtsverband (LWV) zuständig. „Ab 2020 können alle Bezüge auf das eigene Konto gehen. Nur noch die Fachleistungen werden vom LVW direkt an den Leistungserbringer bezahlt. So haben Sie eine bessere Übersicht über Ihr Geld“, erläuterte Kuhl. Die Menschen mit Unterstützungsbedarf bzw. ihre rechtlichen Betreuer müssen sich also viel mehr um ihre finanziellen Angelegenheiten kümmern als bisher. Im ersten Schritt heißt dass, sie brauchen ein eigenes Girokonto. Was für Menschen ohne Behinderung selbstverständlich ist, gilt nicht unbedingt auch für alle anderen. „Selbstbestimmt leben heißt im Umkehrschluss auch, dass jeder Einzelne viel mehr Verantwortung hat“, so Reichert. Damit lässt die bhw ihre Klienten und die rechtlichen Betreuer nicht allein. Im Rahmen der Beratungsleistung, die sie erbringen darf, informiert sie regelmäßig über das Gesetz. Auch wurden Angestellte an allen bhw-Standorten zu BTHG-Ansprechpartnern bestimmt, die jederzeit Fragen beantworten, die Klienten oder Rechtsbetreuer unterstützen und die passenden Stellen und Behörden kennen.

Teilhabe organisieren

Eine umfangreiche Veränderung des Organigramms hat das Unternehmen bereits im vergangenen Jahr eingeleitet, um dem personenzentrierten Prinzip entgegenzukommen. „Wir haben das Aufnahme- und Teilhabemanagement eingeführt. Jeder Klient hat in unserem Unternehmen einen persönlichen Teilhabeberater, der mit ihm zusammen Wünsche und Ziele formuliert. Die Teilhabeberater schreiben den Teilhabeplan, sind die Schnittstelle zwischen Wohnen und Arbeit, sprechen im Auftrag des Klienten mit Behörden und – das ist das Wichtigste – stellen immer den Klienten in den Mittelpunkt“, sagte Reichert: „Das personenzentrierte Denken und Handeln hat die bhw im Sinne ihrer Klienten bereits verinnerlicht!“

Neben den Informationen zum BTHG klärte Thomas Herz, ein externer Referent, beim Infoabend über die allgemeinen Rechte und die Pflichten von rechtlichen Betreuern auf. Viele Fragen wurden durch Mark Kannieß, Fachdienstleiter Soziale Hilfe beim Wetteraukreis, und Karina Kuhl, Bereichsleitung Wohnen und Freizeit der bhw, beantwortet: Wo müssen welche Anträge gestellt werden? Welche Vermögensfreibeträge gelten? Was muss von wem bezahlt werden? Viele Fragen wurden aber auch mitgenommen. „Noch nicht alle Abläufe sind geklärt, auch die Behörden und Verbände wissen noch nicht auf alle Fragen eine konkrete Antwort. Wir behalten die Entwicklung im Blick, arbeiten aktiv an Lösungen im Sinne unserer Klienten mit und informieren, sobald es Neuigkeiten gibt“, versprach die bhw-Geschäftsführerin.